Schadensposten bei Verkehrsunfällen – Teil 1
Dieser Beitrag behandelt die Thematik der Schadensposten bei Verkehrsunfällen mit konkretem Bezug zu einem Fahrzeug. Nicht nur im ersten Staatsexamen hat diese Thematik eine hohe Relevanz, sondern auch im zweiten. Nicht selten kommt es daher vor, dass Rechtsreferendare entweder in den Arbeitsgemeinschaften Fälle zu Straßenverkehrsunfälle behandeln oder im Rahmen ihrer Ausbildung in der Zivilstation auf solche treffen.
Damit das Verständnis zu den einzelnen Problemen besser dargestellt wird, sind hier zahlreiche bebilderte Beispiele aufgezeigt.
Selbstverständlich werden die Begriffe im Einzelnen erläutert und belegt. Es werden einige Fachbegriffe fallen, die sich jeder Kandidat leider einprägen soll und muss, da dies, wie zahlreiche andere Sachen, zum Standardwissen gehört.
Auch ist es sehr empfehlenswert, sich bei solchen Klausuren die untenstehende Tabelle aufzuzeichnen. Die Begriffe sind gruppiert dargestellt und sind daher leicht zu merken. Wie bereits oben geschrieben werden sehr viele Fachbegriffe fallen, die am Anfang leicht überfordernd wirken können. Keine Angst, je mehr du dich damit beschäftigst, desto mehr wird es dir leichter fallen, damit umzugehen!
Bevor wir mit einem konkreten Fall beginnen, hier zunächst die Ausgangssituation:
A und B bauen einen Straßenverkehrsunfall, wodurch das Kfz des A erheblich beschädigt wird. Schuld an dem Unfall ist der B zu 100%. A kommt nun zu dir als Rechtsanwalt und fragt dich, was er verlangen kann. Es stellt sich also die Frage, ob A das Auto reparieren lassen darf (natürlich auf Kosten des B), ein neues Verlangen kann oder es gar nicht reparieren lassen muss, trotzdem aber Reparaturkosten abrechnen darf (Stichwort: fiktive Reparaturkosten).
A. Begriffsbestimmungen
Wichtig für das Verständnis ist zunächst die Klärung der Grundbegriffe aus dem Postenstrahl und der Tabelle.
I. Tabelle 1 (Rep-Aufwand = Rep-Kosten + Merkantiler Minderwert)[2]
Reparaturaufwand [Rep-Aufwand] ist die Summe der Reparaturkosten und dem merkantilen Minderwert.[3]
Reparaturkosten [Rep-Kosten] sind die Kosten, die erforderlich für die Wiederherstellung der beschädigten Sache sind.
Merkantiler Minderwert stellt den Wert dar, den eine beschädigte Sache trotz ordnungsgemäß durchgeführter Reparatur erleidet.[4] Ein verunfalltes Kraftfahrzeug bleibt ein Unfallwagen, auch wenn es ordnungsgemäß repariert wurde und der ursprüngliche, mangelfreie Zustand wiederhergestellt worden ist.[5] Der merkantile Minderwert stellt insofern einen bleibenden Schaden des Geschädigten dar, weswegen dieser zu den Reparaturkosten addiert wird.
II. Tabelle 2 (WBA = WBW – Restwert)[6]
Wiederbeschaffungsaufwand [WBA] ist die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert.[7] Das bedeutet, dass der Wiederbeschaffungsaufwand immer weniger sein muss als der Wiederbeschaffungswert, also immer unter 100% sein muss. Dies lässt sich anhand des linearen Postenstrahls sehr gut erkennen und einprägen (Bild 1 angucken!).
Der Wiederbeschaffungswert [WBW] ist der Wert, der den Wert der Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich betrachtet gleichwertigen Sache darstellt.[8] Der Wiederbeschaffungswert ist immens wichtig für das Verständnis der weiteren Begriffe, da dieser die Grundlage darstellt. Wir merken uns also, dass der Wiederbeschaffungswert auf einer Rechnung die 100% darstellen.
Der Restwert ist der Wert einer beschädigten Sache, der nach dem schädigenden Ereignis noch verbleibt und im Rahmen einer Vorteilsausgleichung dem Geschädigten zuzurechnen ist.[9] Daher wird dieser von dem Wiederbeschaffungswert abgezogen.
III. Linearer Postenstrahl (erstes Bild)
Schließlich bleibt hier nur noch die Bedeutung des sog. Integritätszuschlags (130%) zu klären.
Es kann ja vorkommen, dass der Geschädigte kein Ersatzfahrzeug haben möchte, sondern das beschädigte Fahrzeug repariert haben will, so zum Beispiel bei einem Oldtimer. Übersteigt der Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungsaufwand, so ist nach dem sog. Wirtschaftlichkeitspostulat[10] der Geschädigte auf die Wiederbeschaffung eines anderen, gleichwertigen Fahrzeugs limitiert. Das kann nicht immer vom Geschädigten gewollt sein, insbesondere wenn es sich um eine seltene, limited Edition eines Oldtimers handelt oder er eben ein hohes Interesse an dem Fahrzeug hat.
Der BGH spricht dem Geschädigten daher einen Zuschlag zu, der dem Integritätsinteresse des Geschädigten entgegenkommen soll.[11] Das Bedeutet, dass der Reparaturaufwand bis zu den 130% grundsätzlich geltend gemacht werden kann. Der Geschädigte muss aber sein Integritätsinteresse nachweisen. Wie und wann das relevant ist erfahrt ihr im Folgebetrag.
Der Integritätszuschlag ist nach dem Wiederbeschaffungswert (WBW) zu berechnen und beträgt 30%.[12] Daher ist es so wichtig, dass wir am Anfang auf dem linearen Postenstrahl den Wiederbeschaffungswert als 100% angegeben haben. Daraus ergibt sich, dass der Betrag inklusive des Integritätszuschlags immer höher als der Wiederbeschaffungswert (und konsequenterweise auch höher als der Wiederbeschaffungsaufwand) sein muss, da dieser im Ergebnis 130% darstellt.
B. Zusammenfassung
Damit die Beiträge nicht vollkommen überladen werden wird an dieser Stelle erst Mal Schluss gemacht. Wichtig ist die Verinnerlichung der hier gefallenen Begriffe. Wenn du dir dann noch die Tabelle den Postenstrahl merkst und bei solchen Klausuren zwecks Übersicht aufschreibst, dann hast du schon Mal eine kleine, aber wichtige Hilfe für die Bearbeitung des Falles.
Hier findest du den Folgebeitrag, bei dem wir uns mit dem sog. 4-Stufen-Modell des BGH beschäftigen werden.
[1] Ehemals Palandt.
[2] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[3] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[4] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 251 Rn. 14.
[5] Siehe auch BGH NJW 2013, 525 (527), vgl. Rn. 19.
[6] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 15.
[7] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 15.
[8] BGH NJW 1984, 2282; BGH NJW 1992, 302; Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 16.
[9] BGH NJW 1983, 2693; Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 17.
[10] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 2.
[11] Z.B. BGH, Urteil v. 13.11.2007 – VI ZR 89/07; BGH, Urteil v. 8.12.2009 – VI ZR 119/09.
[12] BGH, Urteil v. 13.11.2007 – VI ZR 89/07, Rn. 5; Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.