Schadensposten bei Verkehrsunfällen – Teil 2

In Teil 1 dieser Beitragsserie haben wir bereits über die Klausurkonstellation geschrieben, dass der Schwerpunkt einer schadensrechtlichen Klausur im Bereich der Schadensposten, konkret mit Bezug zu Kraftfahrzeugen, liegen kann. Diese Arten von Klausuren sind nicht nur im ersten Staatsexamen beliebt, sondern (leider) auch im zweiten.

Im ersten Beitrag ging es primär um grundlegende Begriffe klar zu stellen. Diese sind elementar, um mit solchen Klausuren überhaupt zurecht zu kommen. Außerdem haben wir dir unsere Methode zur Herangehensweise erläutert, indem wir dazu stets einen linearen Postenstrahl und eine Tabelle zeichnen (Reparaturaufwand und Wiederbeschaffungsaufwand). In diesem Beitrag widmen wir uns dem sog. 4-Stufen-Modell des BGH.

Solltest du Fragen zu dem linearen Postenstrahl oder der Tabelle haben, empfehlen wir dir den ersten Beitrag anzuschauen.

Übersicht Kfz-Schadensposten

Auch hier gehen wir von folgender Ausgangssituation aus:

A und B bauen einen Straßenverkehrsunfall, wodurch das Kfz des A erheblich beschädigt wird. Schuld an dem Unfall ist der B zu 100%. A kommt nun zu dir als Rechtsanwalt und fragt dich, was er verlangen kann. Es stellt sich also die Frage, ob A das Auto reparieren lassen darf (natürlich auf Kosten des B), ein neues Verlangen kann oder es gar nicht reparieren lassen muss, trotzdem aber Reparaturkosten abrechnen darf (Stichwort: fiktive Reparaturkosten).

Nun füllen wir den Fall aber mit ein wenig Leben (Zahlen):

  • Reparaturaufwand: 7.500,00 EUR
  • Merkantiler Minderwert: 500,00 EUR
  • Wiederbeschaffungswert: 7.000,00 EUR
  • Restwert: 1.500,00 EUR

Und genau für solche Fälle hilft der Postenstrahl und die Tabelle. Wenn nun die gegebenen Zahlen in die Tabelle einfügen, erschließen sich die restlichen Zahlen aufgrund von einfacher mathematischer Berechnung (wirklich!). Merkt euch, dass die Beträge bei dem Reparaturaufwand addiert, bei dem Wiederbeschaffungsaufwand subtrahiert werden. So müsste eure Tabelle am Ende aussehen:

Tabelle Rep-Aufwand, WBA Beispielsfall

Wenn du dir jetzt die erste Grafik in diesem Beitrag anschaust, die mit den einzelnen Rep-Aufwandposten, welcher Fall liegt hier vor? Mache dir dazu Gedanken und scrolle erst weiter, wenn du sicher bist, welcher Fall hier einschlägig ist.

Auch hier ist die vorherige Aufzeichnung des linearen Postenstrahls von Vorteil. Denn damit lässt sich sofort erkennen, dass hier der Fall 3 einschlägig ist. Der Reparaturaufwand i.H.v. 7.500,00 EUR liegt nämlich zwischen dem Wiederbeschaffungswert (7.000,00 EUR) und dem Integritätszuschlag (130% vom Wiederbeschaffungswert = 9.100,00 EUR). Diese Erkenntnis ist wichtig, denn je nachdem welcher Fall einschlägig ist, bzw. nach dem BGH-Modell auf welcher Stufe wir uns befinden, ändern sich die Voraussetzungen für die Geltendmachung.

Aber nun im Einzelnen (losgelöst von den Daten aus dem Ausgangsfall):

A. Stufe 1[1]

Schadensermittlung Schadensrecht KfZ - Reparaturkosten zu 1

Liegen die Kosten des Reparaturaufwandes unter dem Wiederbeschaffungsaufwand, kann der Geschädigte die tatsächlichen oder fiktiven Reparaturkosten verlangen.[2]

I. Fiktive Abrechnung

Kann der Geschädigte fiktiv abrechnen, also eine nicht erfolgte Reparatur auf Basis eines Sachverständigengutachtens, der die Höhe der Reparatur angibt, geltend machen? Grundsätzlich ja![3] Dabei ist jedoch zu beachten, dass nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Umsatzsteuer, die nicht angefallen ist, da ja nicht repariert wurde, von dem Gesamtbetrag abzuziehen ist, sodass „nur“ der Nettobetrag als Schadensposten geltend gemacht werden kann.

II. Abrechnung auf Neuwagenbasis

Es kann vorkommen, dass der Geschädigte das Kfz erst vor kurzem erworben hat und nun, auch mit der Reparatur einen Unfallwagen hat und das nicht möchte. In solchen Fällen ist eine sog. Abrechnung auf Neuwagenbasis möglich. Es liegt ein sog. unechter Totalschaden vor.

Dies setzt folgendes Voraus:

  • das Kfz darf nur eine Fahrleistung bis zu 1000km und
  • eine Zulassungsdauer von maximal einem Monat haben.[4]

B. Stufe 2[5]

Schadensermittlung Schadensrecht KfZ - Reparaturkosten zu 2

Wenn der Reparaturaufwand allerdings zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und dem Wiederbeschaffungswert liegt, gilt folgendes:

I. Tatsächlich durchgeführte Reparatur

Auf tatsächlicher Ebene können die Reparaturkosten (Brutto) bis zum Wert des Wiederbeschaffungswertes ersetzt werden, sofern die Reparatur tatsächlich und fachgemäß durchgeführt worden ist.[6] Ob das Kfz weiterbenutzt oder unmittelbar danach weiterverkauft wurde spielt dafür keine Rolle.[7]

II. Abrechnung auf fiktiver Basis

Eine Abrechnung auf fiktiver Basis ist auch möglich, allerdings mit Abzug der Mehrwertsteuer (vgl. § 249 Abs. 2 BGB). Das Kfz müsste grundsätzlich auch mindestens sechs Monate weiterbenutzt werden.[8]

III. Begrenzung auf den WBA

Ansonsten wird der Anspruch begrenzt auf dem Wert des Wiederbeschaffungsaufwandes.[9]

Stufe 3

Schadensermittlung Schadensrecht KfZ - Reparaturkosten zu 3

Liegt der Reparaturaufwand zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Wiederbeschaffungswert inklusive des Integritätszuschlages kann der Geschädigte nur die Reparaturkosten ersetzt verlangen, wenn er Kfz tatsächlich reparieren lässt.[10] Damit ist eine fiktive Abrechnung nicht möglich.[11] Das ergibt auch Sinn, denn der Integritätszuschlag soll ja gerade das Erhaltungsinteresse des Geschädigten zugutekommen. Möchte er das Kfz im beschädigten Zustand belassen, so zeigt er eben gerade kein Erhaltungsinteresse. Auch hier wird eine Weiternutzung für mindestens sechs Monate verlangt.[12]

Ansonsten gilt auch hier das gleiche wie auf Stufe 2: der Anspruch ist auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.[13]

Stufe 4

Schadensermittlung Schadensrecht KfZ - Reparaturkosten zu 4

Übersteigt der Reparaturaufwand die 130%-Grenze, also den Wert des Wiederbeschaffungswertes inklusive Integritätszuschlag, wird eine unverhältnismäßiger Aufwendung i.S.v. § 251 Abs. 2 BGB angenommen.[14] D.h. es ist wirtschaftlich unvernünftig, eine Reparatur durchzuführen.  In diesem Fall kann der Geschädigte lediglich den Wert des Wiederbeschaffungsaufwandes gelten machen.[15] Es liegt ein sog. wirtschaftlicher Totalschaden vor.[16] Auch können die Reparaturkosten nicht gesplittet werden, also quasi der Schädiger trägt die Rechnung bis 130%, der Geschädigte den darüber hinausgehenden Teil.

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 15.10.1991 – Az.: VI ZR 67/91.
[2] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[3] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 14.
[4] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 18.
[5] BGH, Urteil v. 29.04.2003 – Az.: VI ZR 393/02; BGH, Urteil v. 23.05.2006 – Az.: VI ZR 192/05; BGH, Urteil v. 29.04.2008 – Az.: VI ZR 220/07.
[6] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[7] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[8] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[9] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 24.
[10] Vgl. BGH, Urteil v. 15.02.2005 – Az.: VI ZR 70/04; Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.
[11] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.
[12] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.
[13] Vgl. BGH, Urteil v. 15.02.2005 – Az.: VI ZR 172/04.
[14] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.
[15] Grüneberg, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB, 81. Auflage, 2022, § 249 Rn. 25.
[16] Vgl. BGH, Urteil v. 15.10.1991 – Az.: VI ZR 67/91; BGH, Urteil v. 08.12.2009 – Az.: VI ZR 119/09.

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Van
Van

Van hat Jura an der Ruhr-Universität Bochum studiert und belegte den Schwerpunkt "Unternehmen und Wettbewerb" mit Fokus auf Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Datenschutzrecht. Neben Jura interessiert er sich für Fotografie, Sport und Web 2.0. Außerdem mag er Katzen.