Mitverschulden im Straßenverkehr

  1. Unterscheidung Anspruchssteller ist Nicht-Halter/Nicht-Fahrer vs. Halter/Fahrer
  2. Anspruchssteller ist Nicht-Halter bzw. Nicht-Fahrer
  3. Anspruchssteller ist Halter bzw. Fahrer

I. Unterscheidung Anspruchssteller ist Nicht-Halter/Nicht-Fahrer vs. Halter/Fahrer

Für ein Mitverschulden des Anspruchsstellers ist die Unterscheidung als Nicht-Halter bzw. Nicht-Fahrer und Halter bzw. Fahrer notwendig.[1]

Schädiger ist Nicht-Halter oder Nicht-Fahrer: § 9 StVG i.V.m. 254 BGB[2]
Schädiger ist Halter oder Fahrer: §17 Abs. 2 i.V.m. 17 Abs. 1 StVG[3]

II. Anspruchsteller ist Nicht-Halter bzw. Nicht-Fahrer

Verletzter, der Nicht-Halter bzw. Nicht-Fahrer ist, könnte sein:

  • Fußgänger
  • Radfahrer
  • Insassen[4]
  • Ebenfalls Halter und Führer, für die es sich bei dem Unfall um ein unabwendbares Ereignis nach § 17 Abs. 2 StVG handelt[5]

Es darf dem Verletzten also nicht selbst die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kfz (oder Anhängers) erfolgreich vorgeworfen werden.[6]

Nach § 9 Hs. 2 StVG wird das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt, dem Eigentümer dieser Sache zugerechnet.[7] Zweck dieser erweiterten Haftung des Verletzten für Dritte ist es, einen Ausgleich für den Schädiger zu erreichen, da dieser aus Gefährdungshaftung haftet.[8]

Der Tretroller, der von A gefahren wird, wird vom Kfz des B durch Überfahren beschädigt. Nimmt der Eigentümer E den B in Anspruch (§§ 7, 18 StVG), so muss er sich das Mitverschulden des A (tatsächlicher Gewalthaber) nach § 9 Hs. 2 StVG i.V.m. § 254 BGB zurechnen lassen. Die Voraussetzungen gem. §§ 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 278 BGB sind nicht notwendig![9] Beachte außerdem die Zurechnung von beschränkt Geschäftsfähigen nach §§ 828 f. BGB.[10]

Mitverschulden setzt Verschuldensfähigkeit voraus! Beachte insbesondere analog § 828 Abs. 2 BGB.

B wird beim Überqueren der Straße vom Kfz-Halter C schuldhaft angefahren. Dem B trifft jedoch ein Mitverschulden. Bei dem Unfall wird das iPhone 11 Max Pro, welches sich B vom A ausgeliehen hat, beschädigt. Nun verlangt A von C Schadensersatz.

A hat gegen C einen Anspruch aus § 7 StVG. Jedoch muss sich A als Eigentümer der Sache (iPhone 11 Max Pro) nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB das Verschulden desjenigen zurechnen lassen, welcher die tatsächliche Sachgewalt über die Sache ausübte (B). A muss sich also das Mitverschulden des B zurechnen, sein Anspruch aus § 7 StVG ist somit zu kürzen.

A hat außerdem einen Anspruch aus § 823 BGB gegen den C (rechtswidrige und schuldhafte Eigentumsverletzung). In Betracht kommt aber eine Anspruchskürzung nach § 254 Abs. 2 S. 2 BGB i.V.m. § 278 BGB. Mangels vorher bestandenen Schuldverhältnisses greift allerdings § 278 BGB nicht ein. B war ebenfalls kein Verrichtungsgehilfe des A, sodass § 831 BGB ebenfalls nicht eingreift. Der Anspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB greift vollumfänglich ein und unterliegt keiner Kürzung (da hier auch nicht § 9 StVG angewendet wird!)![11]

III. Anspruchssteller ist Halter bzw. Fahrer

1. § 17 Abs. 1 StVG (Regelung zum Innenausgleich bei Drittschaden)

§ 17 Abs. 1 StVG regelt den Innenausgleich zwischen mehreren unfallbeteiligten Kfz-Haltern und Fahrern (vgl. § 18 Abs. 3 StVG), die einem Dritten einen Schaden zugefügt haben.[12] Die Norm modifiziert daher § 426 Abs. 1 S. 1 BGB.[13] Der dogmatische Hintergrund ist nicht unumstritten:

§ 17 Abs. 1 StVG regelt somit die Quotelung der Haftung im Innenverhältnis. Nach außen hin haften alle gesamtschuldnerisch gem. § 840 Abs. 1 BGB.[16]

A und B haften als Kfz-Halter gegenüber dem Dritten C. Sie haften beide als Gesamtschuldner voll gegenüber dem C nach § 840 Abs. 1 BGB (Außenverhältnis). Der Ausgleich im Innenverhältnis richtet sich nach § 17 Abs. 1 StVG.

2. § 17 Abs. 2 StVG (Regelung zum Innenausgleich für selbst erlittene Schäden)

§ 17 Abs. 2 StVG regelt ebenfalls den Innenausgleich, allerdings regelt die Norm die wechselseitige Haftung von Kfz-Halter und Führern, die jeweils einen Schaden erlitten haben.[17] Kann sich also einer der Beteiligten auf den Ausschlussgrund des unabwendbaren Ereignisses nach § 17 Abs. 3 StVG berufen, so entfällt die Haftung und der Anspruch des Geschädigten ist bei Mitverursachung im Haftungsverhältnis zu kürzen.[18]

Der Anspruchsstellende Kfz-Halter oder Fahrer muss sich die von seinem Kfz-ausgehende sog. Betriebsgefahr anrechnen![19] Die Betriebsgefahr ist die Summe der Gefahren, die das Kfz durch seine Eigenart in den Verkehr mitbringt.[20] Hier richtet man sich zunächst an einem Wert von 20%.[21] Faktoren, die die Quotelung beeinflussen können sein:

  • Verschulden[22]
  • Allgemeine gefahrenträchtige Vorgänge im Straßenverkehr, z.B. Linksabbiegen (gilt als besonders gefährlich)[23]
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[1] Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse – Deliktsrecht, Schadensrecht, Bereicherungsrecht, GoA (Lehrbuch), 9. Auflage, 2019, § 22, Rn. 31.
[2] Supra.
[3] Supra (Fn. 1).
[4] JuS 2004, 287 (290).
[5] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 34.
[6] Supra.
[7] Supra (Fn. 4).
[8] Supra (Fn. 4).
[9] Supra (Fn. 4).
[10] Supra (Fn. 4).
[11] Haack, Schuldrecht BT 4 (Skript), 20. Auflage 2017, Rn. 630.
[12] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 21, 48; Haack, (Fn. 11), Rn. 631.
[13] Supra.
[14] Haack, (Fn. 11), Rn. 631.
[15] Supra.
[16] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 48.
[17] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 50.
[18] Supra; Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 39.
[19] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 36.
[20] Supra; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (Kommentar),  § 254, Rn. 60.
[21] Supra, (Fn. 19).
[22] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 37.
[23] BGH, NJW 2005, 1351 (1354); Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 36.

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Van
Van

Van hat Jura an der Ruhr-Universität Bochum studiert und belegte den Schwerpunkt "Unternehmen und Wettbewerb" mit Fokus auf Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Datenschutzrecht. Neben Jura interessiert er sich für Fotografie, Sport und Web 2.0. Außerdem mag er Katzen.