Produkthaftung im Deliktsrecht und Produkthaftungsgesetz

Meistens hat der Verbraucher schlechte Karten, wenn er ein Produkt von einem Verkäufer kauft, welches vom Hersteller H hergestellt wurde und das Produkt mit einem Mangel behaftet ist, denn:[1]

  • Er ist nicht in dem Vertrag zwischen Verkäufer und Hersteller miteinbezogen (mangels Gläubigerinteresse scheitert ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter)[2]
  • Die Drittschadensliquidation geht ebenfalls nicht durch, denn es fehlt an der atypischen Schadensverlagerung[3]
  • Die Haftung nach Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) setzt Verschulden voraus, welches der Kläger beweisen muss. Dies wird häufig unmöglich für den Verbraucher sein, denn dieser hat keinen Einblick in den Herstellungsprozess[4]
  • Außerdem scheitern Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer, wenn dieser sein Verschulden widerlegen kann (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 311a Abs. 2 S. 2 BGB),[5]
  • Er (Verkäufer) hat keine Nebenpflicht verletzt, denn es besteht nicht die Pflicht, eine fabrikneue Ware auf Fehler zu untersuchen und[6]
  • Falls zutreffend, kann das Verschulden des Herstellers H nicht dem Verkäufer V zugerechnet werden nach § 278 BGB, denn der H ist kein Erfüllungsgehilfe des V.[7]

Zum Schutz des Verbrauchers oder Endabnehmers wurde deshalb die Produkthaftung nach Deliktsrecht (widerlegbare Verschuldensvermutung[8]) und die Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz (verschuldensunabhängig) entwickelt.[9]

Oftmals im Studium werden die Begriffe Produkthaftung und Produzentenhaftung miteinander vertauscht oder als Synonym verwendet.[10] Allerdings ist dies nicht korrekt, denn es bestehen Unterschiede zwischen beiden Begriffen.

Mit der Produkthaftung bezeichnet man die Haftung nach dem ProdHaftG[11], die Produzentenhaftung meint die von der Rechtsprechung erschaffene Produzentenhaftung im Deliktsrecht[12].

A. Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB (deliktische Produkthaftung)

Schema § 823 Abs. 1 BGB (Produzentenhaftung)

  1. Hersteller
  2. Produkt
  3. Rechtsgutverletzung
  4. Verletzung einer herstellerspezifischen Verkehrssicherungspflicht
  5. Kausalität und Rechtswidrigkeit (wird indiziert durch Verletzung einer Verkehrssicheheitspflicht[13])
  6. Verschulden
  7. Beweislastumkehr
1. Herstellerspezifische Verkehrssicherungspflichten
  1. Konstruktionsfehler
  2. Fabrikationsfehler
  3. Instruktionsfehler
  4. Produktbeobachtungsfehler

Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht indiziert die Rechtswidrigkeit![14]

a. Konstruktionsfehler

Konstruktionsfehler: Die Fehlerhaftigkeit des Produktes kann darauf beruhen, dass es schon nach seiner Konstruktion oder Zusammensetzung nicht diejenige Beschaffenheit vorweist, die man zur Vermeidung einer Gefahr für andere erwarten muss.[15] Häufig ist bei einem Konstruktionsfehler die ganze Produktlinie betroffen, da der Fehler bereits im Entwicklungs- und Produktionsprozess vorliegt.[16]

Beispiel: In einer Reinigungsanlage werden ungeeignete Schwimmschalter eingebaut, sodass dadurch ein Brand entsteht.[17]

Maßgeblicher Zeitpunkt ist der im Zeitpunkt der Inverkehrbringung des Produktes derzeitige Stand von Wissenschaft und Technik.[18]

b. Fabrikationsfehler

Fabrikationsfehler: Ein Fabrikationsfehler liegt vor, wenn bei der Fertigung eines (ordnungsgemäß hergestellten) Produktes eine planwidrige Abweichung von der Sollbeschaffenheit gegeben ist.[19] Des Weiteren sind hier nicht wie bei einem Konstruktionsfehler alle Produkte einer Linie betroffen, sondern einzelne Exemplare.[20]

Beispiel: Bei dem Abfüllen von Limoflaschen entsteht ein zu hoher Innendruck, sodass dadurch Explosionsgefahr besteht.[21]

Ausnahme: Wenn es sich dabei um einen sog. Ausreißer handelt, bei dem es um einen einmaligen Fehler einer Maschine oder eines Arbeitnehmers handelt, welcher für den Produzenten unvermeidbar war.[22] Ein Endhersteller ist diesbezüglich verpflichtet, alle zumutbaren Pflichten (Auswahl- und Überwachungspflichten) nachzugehen, um mögliche Fabrikationsfehler der Zulieferer zu entdecken![23]

c. Instruktionsfehler

Instruktionsfehler: Ein Instruktionsfehler liegt vor, wenn der Hersteller es unterlässt, Verbraucher vor Gefahren zu warnen, die aus der Verwendung des Produktes entstehen können, soweit die Verwendung im Rahmen der allgemeinen Zweckbestimmung des Produkts liegt.[24]

Beispiel: Ein Hersteller hat es unterlassen, Eltern davor zu warnen, dass durch das Dauernuckeln an Kinderflaschen, die mit Kinderteeprodukten gefüllt sind, Karies entstehen kann.[25]

d. Produktbeobachtungsfehler

Produktbeobachtungpflicht: Nach Inverkehrbringung der Produkte ist ein Hersteller dazu verpflichtet, seine Produkte auf noch nicht bekannte schädliche Eigenschaften zu beobachten (sog. Entwicklungsfehler und die daraus resultierende Produktbeobachtungspflicht).[26]

Ein Entwicklungsfehler liegt vor, wenn die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts zum Zeitpunkt der Inverkehrbringung nach dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik objektiv nicht erkannt werden konnte.[27]

Beispiel: Bei nicht serienmäßiger Lenkerverkleidung wird das Fahrverhalten bestimmter Motorräder beeinträchtigt. Der Hersteller ist dazu verpflichtet, Gefahren bekannt zu geben, die aus der Verwendung des Produktes mit anderen Produkten entstehen.[28]

2. Beweislast und Beweislastumkehr

Es reicht für den Geschädigten aus, wenn er darlegt, dass das Produkt in objektiv fehlerhaftem Zustand die Herstellersphäre verlassen hat und das fehlerhafte Produkt für den Schaden ursächlich geworden ist.[29] Diese Erleichterung soll der Tatsache entgegenwirken, dass ein Verbraucher normalerweise keinen Einblick in den Produktionsprozess und es praktisch unmöglich für ihn ist, eine Sorgfaltspflichtverletzung oder das Verschulden zu beweisen.[30]

Die Beweiserleichterung gilt für Konstruktions-, Fabrikations– und Instruktionsfehlern.[31] Der Hersteller muss sodann darlegen, dass er objektiv keine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat und sich subjektiv von dem Verschuldensvorwurf entlasten.[32]

B. Produkthaftung nach dem ProdHaftG[33]

Schema § 1 Abs. 1 ProdHaftG

  1. Tatbestand
    1. Anwendbarkeit des ProdHaftG, §§ 16, 19 ProdHaftG
    2. Produkt muss nach Inkraftreten des ProdHaftG (1.1.1990) in den Verkehr gebracht worden sein.
    3. Körper-, Gesundheitsschaden oder Sachschaden
      1. Beachte: Sachschaden muss bei anderer Sache vorliegen, nicht bei der Sache selbst, von dem der Schaden ausgeht.
      2. Beachte: Selbstbeteiligung bei Sachbeschädigung nach § 11 ProdHaftG (500€)
    4. Produkt, § 2 ProdHaftG
    5. Produktfehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, § 3 ProdHaftG
    6. Hersteller, § 4 Abs.1 ProdHaftG
    7. Kein Ausschluss nach § 1 Abs. 2, Abs. 3 ProdHaftG
  2. Beweislast
    1. Beim Geschädigten, § 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG
      1. Fehler-Schaden-Kausalität (Eselsbrücke: FSK)
    2. Beim Hersteller, § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG
      1. Ausschlussgründe (siehe oben), § 1 Abs. 2, Abs. 3 ProdHaftG
  3. Rechtsfolgen
    1. Gesamtschuld, § 5 S. 1 ProdHaftG
    2. Mitverschulden, § 6 ProdHaftG
    3. § 7 – 10 ProdHaftG
    4. Schmerzensgeld, § 8 S. 2 ProdHaftG

Beachte die Höchstgrenze bei § 10 ProdHaftG. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Gefährdungshaftung (wie die Haftung nach dem ProdHaftG) zu erst geprüft wird, da hier kein Verschulden[34] notwendig ist. Ausnahmsweise könnte aber auch eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB sehr prüfungsrelevant sein, wenn beispielsweise der Schaden die Höchstgrenze, die in § 10 ProdHaftG normiert ist, übersteigt.


[1] Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse – Deliktsrecht, Schadensrecht, Bereicherungsrecht, GoA, 9. Auflage, 2019, § 22, Rn. 51.
[2] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 52.
[3] Supra.
[4] Supra, (Fn. 2).
[5] Supra, (Fn. 2).
[6] Supra, (Fn. 2).
[7] Supra, (Fn. 2).
[8] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 60.
[9] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 54.
[10] Vgl. Wandt, (Fn. 1), § 22, Fn. 87.
[11] Das ProdHaftG beruht auf der EG-Richtlinie 85/374 EG; Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 51; Wandt, (Fn. 1), § 22,Fn. 87.
[12] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 51; Wandt, (Fn. 1), § 22, Fn. 87.
[13] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 59.
[14] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 158, § 22, Rn. 59, 69.
[15] Wandt, (Fn. 1), §22, Rn. 62; Produkt muss bei seiner Konzeption schon den gebotenen Sicherheitsstandard vorweisen, vgl. BeckOK § 823, Rn. 701.
[16] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 62.
[17] BGHZ 67, 359 (362); Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 62.
[18] Supra.
[19] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 63.
[20] Supra.
[21] BGHZ 104, 323 (Limonadenflaschen-Fall); Supra, (Fn. 18).
[22] Supra, (Fn. 18).
[23] Supra, (Fn. 18).
[24] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 64.
[25] BGHZ 116, 60 (Kindertee-I-Fall); Supra.
[26] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 65.
[27] BGHZ 129, 353 (ProdHaftG); BGHZ 105, 346 (Produzentenhaftung/ Deliktische Produkthaftung); Wandt, (Fn. 1), § 22, Fn. 115.
[28] Supra.
[29] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 66.
[30] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 66, 71.
[31] Supra, (Fn. 17).
[32] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 67.
[33] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 74
[34] Wandt, (Fn. 1), § 22, Rn. 73.

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Van
Van

Van hat Jura an der Ruhr-Universität Bochum studiert und belegte den Schwerpunkt "Unternehmen und Wettbewerb" mit Fokus auf Urheberrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Datenschutzrecht. Neben Jura interessiert er sich für Fotografie, Sport und Web 2.0. Außerdem mag er Katzen.